THE INTERVIEW IN|DEEDS: WHO IS … Pablo Griss

PROLOG | PERSÖNLICHES

Herr Griss, wo sprechen wir zusammen, wo treffen wir Sie? Mein Atelier im ID Studio Komplex in der Genslerstraße wäre ideal. Ich hatte das Glück, einen geräumigen Malbereich mit hohen Decken und riesigen Fenstern zu finden, die das Frühlingslicht willkommen heißen und eine helle Atmosphäre schaffen.  Dieser Ort ist ein großartiger Rahmen, um sich zu treffen, zu arbeiten und meine Bilder zu teilen. Vielleicht sitzen wir an Ihrem Lieblingsplatz? Wenn nicht in meinem Atelier: Krøhan Bress in der Ackerstraße in Berlin-Mitte. Mit einer Zigarre und einem guten Scotch, immer auf dem alten Ledersofa im Hinterzimmer sitzend. Reden über Kunst, gute Kunst von der erhabenen Art. Woher kommen Sie, wo sind Sie wann geboren? Ich wurde 1971 in Caracas, Venezuela, geboren. Wo leben und arbeiten Sie derzeit? Seit 2015 lebe und arbeite ich in Berlin. Welche Stationen und Menschen haben Sie geprägt? Diese Frage führt mich unweigerlich zurück in meine Kindheit und erinnert mich an meine Großeltern, die meinen Charakter stark geprägt haben. Natürlich sind auch meine Eltern auf ihre eigene Weise von Bedeutung. Das Studium an der Columbia University war eine außergewöhnliche Erfahrung, die mir seit Beginn meiner Karriere die Möglichkeit bot, mit Künstlern von Weltrang und bedeutenden Denkern zusammenzukommen und mich mit ihnen auszutauschen. In meinen Zwanzigern (Anfang der 90er Jahre) in New York City zu leben, war an sich schon eine charakterprägende Erfahrung. Seitdem hat mein Leben viele Wege genommen, um dorthin zu gelangen, wo ich jetzt bin, und ich freue mich auf das, was noch kommen mag. Ich vertraue darauf, dass das Beste noch vor uns liegt! Welche Schriftsteller*innen finden Sie derzeit spannend und welche Bücher finden sich in Ihrem Bücherregal? Es gibt so viele, dass es schwer ist, sie zu benennen. Ganz spontan fallen mir ein: Žižek, Camus, Dostojewski, Vargas Llosa und einige Künstlerbiografien verschiedener Autoren, die ich in meinem Zimmer und im Atelier zum Nachschlagen in Reichweite habe.

DEEDS WORLD - courtesy of Luisa Catucci Gallery - Pablo Griss portrait

Pablo Griss Portrait with 155×140, courtesy of Luisa Catucci Gallery

Welche Bücher haben Sie beeinflusst oder geprägt? Ein gutes Buch begleitet Sie Ihr ganzes Leben lang, weit über die Zeit hinaus, in der Sie es gelesen haben, und bis ins Alter; es wird durch Reflexionen über Sie selbst, das Leben und Ihre Umgebung wiederbelebt. Es wird zu einem stoischen Schutzschild, der Ihnen hilft, bestimmte Probleme zu lösen und Sie vor den Umständen zu schützen. Diese schichtende Erfahrung ist das, was transzendiert, weg von der anekdotischen oder gefährlichen Rhetorik, die das Wesentliche beschädigen, die Unwissenheit enthüllen und das wahre Erbe von Kunstwerken entwerten kann. Was lesen Sie aktuell und wo liegt das Buch griffbereit? Ich trage Slavoj Žižeks “Trouble in Paradise” in meiner Jackentasche mit mir herum, und ein abgegriffenes Exemplar von “Der glückliche Tod” von Albert Camus liegt jetzt neben meinem Bett. Welche Musik hören Sie und wann? In Letzter Zeit gehört The War On Drugs zusammen mit den Nationals zu meinen meistgespielten Bands. Klassiker wie Pink Floyd und Marillion sind immer willkommene Begleiter im Studio. Wenn Sie etwas für uns kochen würden, was wäre es? Etwas Leckeres vom Grill, dazu Bier im Freien. Was essen Sie am liebsten? Auf jeden Fall Fleisch; in Deutschland ist das Schweinefleisch hervorragend. Was halten Sie vom Frühstücken? Ich bin kein großer Frühstücker. Ich trinke gerne eine Tasse schwarzen Kaffee, um in Schwung zu kommen, aber meine erste Mahlzeit wäre das Mittagessen. Welchen Sport oder Ausgleich zu Ihrer Arbeit betreiben Sie? Ich fahre gerne Mountainbike, auch wenn es ehrlich gesagt im letzten Jahr keine Priorität mehr hatte. Haben Sie besondere Leidenschaften (Hobbies), für die Sie brennen, und wenn ja welche? Mein Leben dreht sich um die Malerei; selbst wenn ich nicht im Atelier bin, male ich. Die Entwicklung meiner Arbeit hat sich ganz natürlich vollzogen. Das tägliche Beobachten mit einem konstruktiv-kritischen Ansatz, das Ergreifen von Möglichkeiten, anstatt sie zu verwerfen, ist ein Prozess, in dem ich meine Arbeit ständig überdenke und überarbeite. Ich verstehe die Malerei als einen Weg zur Selbstentfaltung, der mir die Antworten bietet, die ich in der Ebene, in der ich lebe, nicht finden kann. Sie spiegelt das Leben wider, vielleicht ein Produkt dessen, was ich gewesen bin, was ich jetzt bin und wie ich mich in der Zukunft vorstelle. Welches Persönlichkeitsmerkmal macht Sie aus? Meine Frau würde Sturheit sagen, und ich sage Hartnäckigkeit. Gleiche Eigenschaft, unterschiedliche Perspektiven.

DEEDS WORLD - courtesy of Luisa Catucci Gallery - Pablo Griss STUDIO.18cb

Pablo Griss Studio, courtesy of Luisa Catucci Gallery

INTERVIEW | KÜNSTLER + POSITION

Zu Beginn erzählen Sie uns bitte in ein paar Sätzen Ihre künstlerische Vita.

Venezuela ist ein nördlich von Südamerika gelegenes karibisches Küstenland, das den Amazonas mit Brasilien und die Anden mit Peru teilt, und das aufgrund seines Ölreichtums, seiner natürlichen Schönheit und seiner starken künstlerischen Präsenz stets eine besondere Rolle inne hatte.

Ich wurde in Caracas, der Hauptstadt von Venezuela, geboren. Sie war (und ist) eine Stadt voller dramatischer Kontraste, überfüllt mit ausländischen Einflüssen: künstlerisch, architektonisch, kulinarisch, musikalisch und technologisch. Meine Kindheit fiel mit einer expansiven Periode für mein Land zusammen, die endete, als ich volljährig wurde.

Als Künstler begann mein Weg mit der Erkundung mathematischer Möglichkeiten; so studierte ich an der Columbia University in New York Wirtschaft und Ingenieurwesen. Später machte ich meinen BA an der School of Visual Arts der Columbia University. Seitdem ist die Kunst in aller Ernsthaftigkeit und mit größter Verantwortung zu meinem Leben geworden.

Im Laufe meiner Karriere habe ich an mehreren Gruppen- und Einzelausstellungen in den USA, Europa und Lateinamerika teilgenommen. Für die laufende Ausstellung in der Luisa Catucci Gallery in Berlin greife ich auf die Serie “Intervention” zurück, die erstmals während der ArtBo ’13 in einer Doppelausstellung mit dem bekannten Neo Geo-Künstler Peter Halley vorgestellt wurde.

Die “Intervention”-Stücke sind Wiederholungen und Erkundungen der Essenz meiner Arbeit…

Erläutern Sie uns kurz Ihr aktuelles Projekt bzw. die kommende Ausstellung.

Meine jüngsten Gemälde rufen feine Erinnerungen hervor, die als ein Kontinuum energetischer Begegnungen wie die Brise oder die Wellen des Ozeans wahrgenommen werden, wobei die Stille die Tiefe der Klänge verstärkt. Durch sie schlage ich eine Brücke zu den nicht greifbaren, aber grundlegenden Kadenzen unserer Existenz: die komplexe, organisierte Struktur von Schlägen, Impulsen, Atembewegungen, Schritten, Begegnungen und Veränderungen dieser Rhythmen in einem endlosen Spektrum verschiedener Frequenzen, die wir alle sind.

DEEDS WORLD - courtesy of Luisa Catucci Gallery - Pablo Griss - STUDIO ROOM INTERVENTION

Pablo Griss, Studio Room, Ausstellung INTERVENTION, courtesy of Luisa Catucci Gallery

Worüber machen Sie sich zurzeit am meisten Gedanken; was beschäftigt Sie?

Die russische Invasion in der Ukraine.

Wie sind Sie zur Kunst gekommen? Warum Kunst?

Die Kunst kam zu mir. Sie war schon immer da, aber ich habe Wirtschaftswissenschaften und Ingenieurwesen studiert, bevor ich erkannte, dass dies mein Weg ist.

Was macht Sie aktuell glücklich?

Seelenfrieden, eine gesunde Familie, Spaziergänge am Orankesee mit meinem Hund Kimchi und Zeit für konzentriertes Arbeiten. Außerdem ist es ein Segen, dass jetzt, wo der Winter vorbei ist, natürliches Licht in mein Studio gelangt.

Was macht Ihnen aktuell Angst?

Ich habe Angst davor, in diesem Leben nicht genug Zeit zu haben, um alles zu erreichen, was ich erreichen möchte. In letzter Zeit aber beängstigen mich bestimmte Narrative, die die Gesellschaft in reaktive und dogmatische Verhaltensweisen hineinziehen.

Glauben Sie, dass Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung trägt? Und was denken Sie, was sie bewirken kann?

Ich bin der festen Überzeugung, dass Kunst ein wirksames Mittel zur Transformation ist – ein Spiegel für eine tiefe Selbstreflexion. Die Verantwortung der Kunst ist es, zu transzendieren, und der einzige Weg, dies zu tun, besteht darin, sich von politischen Narrativen fernzuhalten, die nur die neueste Modeerscheinung des Augenblicks sind.

Was macht Ihre Kunst aus? Worum geht es in Ihrem Werk – was sind die zentralen Themen?

In der Malerei erforsche ich die visuellen Möglichkeiten der Energie und ihrer Eigenschaften: Magnetfelder, Strahlung, Resonanz, Ströme und elektromagnetische Wellen. …

Lesen Sie die Antwort von Pablo Griss zu seinem Werk weiter in THE DEED | DAS WERK.

DEEDS WORLD - courtesy of Luisa Catucci Gallery - Pablo Griss - INTERVENTION INTERVENTION LCG

Pablo Griss, Ausstellung INTERVENTION, courtesy of Luisa Catucci Gallery

Wie schützen Sie sich in der heutigen Zeit vor zu viel Inspiration?

Ich bleibe fokussiert; Inspiration ist kein Problem, denn ich habe einen ausgeprägten Sinn für Disziplin, der sie im Zaum hält; meine Sorge ist der Mangel an Zeit, um alle meine Projekte zu realisieren.

Wie viel in Ihren Arbeiten ist vorher geplant – wie viel entsteht intuitiv?

In Prozenten würde ich sagen 50/50. Meine Arbeit ist das Ergebnis eines gründlichen Prozesses, in dem Intuition und geplante Ideen bei jedem Schritt miteinander verwoben sind. Ich folge meiner Intuition bei der Ausführung, aber nichts ist zufällig oder unerwartet.

Was sind Ihre (nächsten) Ziele?

Ich habe mehrere Ziele. Kurzfristig möchte ich eine Gruppe bedeutender Bilder für meine Serien Intervention und Color Magnetic Continuum malen. Ich habe diese Bilder schon seit vielen Jahren im Kopf. Mit diesen großformatigen Werken möchte ich die Serien abschließen.

Wie stehen Sie zum Thema Glauben? Haben Sie Glaubensgrundsätze oder gibt es einen Leitspruch?

Mein Motto ist es, jeden Tag im Studio zu erscheinen, auch wenn ich keine Lust habe; ich würde sagen, meine Prinzipien sind Beständigkeit, harte Arbeit und Disziplin.  Obwohl ich keiner bestimmten spirituellen Praxis folge, glaube ich an etwas, das größer ist als ich selbst. Ich ehre mein Leben, indem ich meine Arbeit respektiere und mich auf die hohen Standards konzentriere, die ich mir dafür gesetzt habe.

Welches Projekt würden Sie gerne noch realisieren, wenn fehlende Zeit, mangelnder Mut oder finanzielle Ressourcen keine Rolle spielen würden?

Ich möchte die Möglichkeiten der Dreidimensionalität meiner Ideen erkunden, indem ich eine Gruppe von großformatigen Skulpturen entwickle, die mir schon seit einiger Zeit vorschweben. Ich habe sogar schon einige Prototypen im Atelier.

Was sind aus Ihrer Sicht Attribute für gute Kunst?

Formalität und hohe Qualität: Jeder kann gute Ideen haben, entscheidend ist, dass sie in einem formalen Szenario funktionieren.

DEEDS WORLD - courtesy of Luisa Catucci Gallery - Pablo Griss STUDIO.17A

Pablo Griss Studio, courtesy of Luisa Catucci Gallery

Wird man als Künstler*in geboren? Oder ist ein Kunststudium aus Ihrer Sicht Pflicht?

Beides. Künstler zu sein, ist nicht nur eine Frage des Talents; es braucht viel mehr als das. Man muss wissen, wie man suchen muss, um etwas zu finden, und Bildung gibt einem das. Es gibt für alles eine Geschichte und Bezüge. Wenn man sich dessen bewusst ist, bereichert man sein Vokabular und sein Verständnis für die eigene Arbeit als Künstler. Man muss die Arroganz ablegen, die sich aus der Unwissenheit speist.

Wem zeigen Sie ein neues Werk zuerst?

Meiner Frau

Wie sieht die erste Stunde Ihres Tages aus?

Sind im Zeitalter des Internets der Dinge Galerien (aus Ihrer Sicht) noch notwendig? Wenn ja, warum und wofür? Social-Media – aus Ihrer Sicht Segen oder Fluch?

Die sozialen Medien sind ein fantastisches Instrument für die Öffentlichkeitsarbeit und damit auch für den kommerziellen Zweck der Kunstwelt. Egal, wie großartig die Technologien auch sein mögen, nichts wird die Erfahrung von Kunst in der realen Welt ersetzen. Ebenfalls von entscheidender Bedeutung: Die visuelle Bildung muss in Museen und Galerien stattfinden, wo die Kunstwerke aus nächster Nähe betrachtet und mit dem Raum interagiert werden können. Es besteht eine große Gefahr, alle Lebenserfahrungen auf einen Bildschirm im Taschenformat zu reduzieren.

EPILOG | AKTUELLES

Die Ausstellung INTERVENTION mit Malerei von Pablo Griss ist vom 4. März bis 1. Mai 2022 in der Luisa Catucci Gallery, Allerstraße 38, 12049 Berlin-Neukölln zu sehen.

www.instagram.com/pablogriss

www.pablogriss.com


Das schriftliche Interview ist ein wichtiges Medium, um Künstler:innenpersönlichkeiten vorzustellen, ihre Botschaften zu verbreiten und mit Kunstliebhaber:innen in Kontakt zu treten. Die Interviews werden von unserer Redaktion nicht redigiert oder gekürzt und stets im O-Ton wiedergegeben. Daher nehmen wir auch keine Übersetzung des Interviews in Englische bzw. Deutsche vor, es sei denn, diese wird seitens des/der Interviewten eingereicht.

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