THE INTERVIEW IN|DEEDS: WHO IS … Grigori Dor

The painter and graphic designer Grigori Dor, who was born in Russia and lives in Berlin, initiated and curated the large group exhibition 50/50 – The Matter of Duality together with the artist Mascha Naumova. This exhibition presented works by around 100 Berlin artists at the Paul Fleischmann Haus in Berlin-Gesundbrunnen for one week in January 2020. Grigori Dor has lived in Berlin for 30 years and works as a freelance artist. Due to the conceptual character of THE INTERVIEW IN|DEEDS, not to change, shorten or distort the original sound of the interviewee, we did not translate the interview.

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Grigori Dor, Portrait, 2020

Grigori, zu Beginn bitte ein paar Sätze zu Deiner Vita mit Infos, die uns das Internet bisher vorenthält. Woher kommst Du (verrate uns bitte auch Deinen Jahrgang) und welche Stationen haben Dich geprägt?

Ich wurde 1970 in Ulan-Ude geboren, einer zentralsibirischen Stadt in der Nähe vom Baikalsee. Als Kind bin ich mit meiner Familie viel gereist. Natürlich innerhalb Russlands, da Reisen ins Ausland in der Sovjetunion nicht möglich war. Ich war natürlich sehr beeindruckt von Städten wie St.Petersburg, Moskau, Riga, Tallinn und vielen anderen. Es war mir schon als Kind absolut klar, dass meine Lebensreise in den Westen führen wird. Nach 2 Jahren Studium der Germanistik und Kunstgeschichte an der St.Petersburger Universität bin ich 1990 im Rahmen eines DAAD-Stipendiums nach Berlin gekommen und setzte hier das Studium fort. Später habe ich auch eine Ausbildung zum Grafik-Designer am Lette-Verein in Berlin gemacht. Mitte der 90er habe ich nach einigen beruflichen Erfahrungen beschlossen, ausschließlich als freischaffender Künstler in meiner geliebten Wahlheimat Berlin zu bleiben!

Worüber machst du Dir zurzeit am meisten Gedanken; was beschäftigt Dich?

Wahrscheinlich das, was jeden Künstler sein ganzes Leben langbeschäftigt:  die eigene künstlerische Entwicklung und Überlegungen, wo die Reise hingehen soll!

Wie bist Du zur Kunst gekommen? Warum Kunst?

Soweit ich zurückdenken kann, habe ich schon immer gezeichnet und gemalt. Diese kindliche Faszination, daß man mit ganz wenigen Mitteln auf Papier oder Leinwand eine neue Welt erschaffen kann, hat bei mir nie nachgelassen. Diese Freude und Erregung kann wahrscheinlich fast jeder Künstler nachvollziehen, wenn er vor einer neuen noch reinen Leinwand steht. Mit der Zeit kam auch die Erkenntnis, dass Kunst auch ein wichtiges Instrument der eigenen Auseinandersetzung mit Realität, ein Ausdrucksmittel eigener emotionalen Befindlichkeiten, ein identitätsstiftender Teil einer Persönlichkeit sein kann.

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Still Life With Yellow Stripes 210 x 160 cm, 2018

Was macht Dich aktuell glücklich? Was macht Dir aktuell Angst?

Am glücklichsten fühle ich mich, wenn ich ungestört mehrere Tage am Stück in meinem Atelier arbeiten darf. Atelier ist mein Refugium, da fühle ich mich absolut erfüllt, zufrieden und intakt.

Ich habe vor nichts mehr wirklich Angst. Klar, elementare Sorgen bezüglich Krankheiten, Altersarmut oder Misserfolge hat man auch, aber richtige Ängste, die mein Leben beeinträchtigen würden, habe ich gelernt zu überwinden! Was nicht tötet, härtet ab! ))

Was macht Deine Kunst aus? Kannst Du die Intention Deiner Kunst mit uns teilen?

Meine Kunst ist ein Versuch, mich mit dieser unfassbaren Unbegreiflichkeit, was unsere Welt ist, auseinanderzusetzen… Eine Reflexion in Demut bezüglich der Tatsache, dass wir es nie verstehen werden, was dieses atemberaubende Etwas eigentlich ist, was wir Existenz nennen. Dazu leben wir in einem sogenannten anthropozänen Zeitalter, ein Erdzeittalter,  das vom Menschen bestimmt ist. Es ist unglaublich spannend, Zeuge dieses rasanten gesellschaftlichen Wandels zu sein, der im Zuge der Industrialisierung und Digitalisierung stattfindet. Strukturen, die uns jahrzehntelang gedient haben, sind heute zu eng oder einfach nicht mehr funktional. Die sich globalisierende Welt scheint zusammenzuwachsen und das erzeugt nicht nur Euphorie, sondern auch Ängste, was wir in Deutschland, aber auch weltweit spüren. Diese Ambivalenz interessiert und fasziniert mich. Die Abläufe der gesellschaftlichen Transformation, Prozesse der Auflösung, des Entstehens und des Verschwindens sind Themen, mit denen ich mich auseinandersetze. In meiner Kunst reflektiere ich über die Verwundbarkeit und Fragilität der menschlichen Existenz im Zeitalter der technologischen Revolution und digitaler Gleichschaltung.

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Still Life With An Eye, 140 x 190 cm, 2018

Wie schützt Du Dich in der heutigen Zeit vor zu viel Inspiration, Eindrücken, Botschaften – vor dem Verlust des Fokus?

Es gelingt mir sehr schlecht, ich bin ein gieriger Informationsjunkie! )) Was mir hilft ist ein klar und rational formulierter innerer Fokus, an den ich mich zu halten versuche, der mir hilft, Eindrücke bewusst zu selektieren, nach dem Motto: das ist mein Gebiet, da bin ich aktiv und was anderes kann oder sogar muss ich komplett auslassen, beziehungsweise nur aus dem Augenwinkel wahrnehmen. Mit dem Alter lernt man auch (im Idealfall!) in unserer schönen Überflussgesellschaft den Konsum zu steuern. Es geht ja auch um andere höchst interessante und verführerische Sachen wie Alkohol, Essen und sonstiges Sex-Drugs and Rock´n´Roll ! ))

Wie beurteilst Du die aktuelle Entwicklung des Kunstmarktes?

Das große Mysterium „der Kunstmarkt“!! Ich glaube, es gibt nicht den einen Markt. Die schwindelerregenden Umsätze auf Art Basel haben nichts mit dem täglichen Überlebenskampf einer mittelständischen Galerie zu tun! Ich beobachte es mit Sorge, vor allem was die Berliner Galerie-Landschaft betrifft. Der heiß erwartete Internet-Boom ist bis jetzt auch ausgeblieben. Zumindest aus meiner Sicht. Ich kenne wirklich kaum jemand, der durch das Internet ernstzunehmende Verkäufe erzielt hätte!

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Landscape With Two Red Lights, 180 x 140 cm, 2019

Zwei Sätze zu Deinem aktuellen Projekt.

Eine neu tolle Bilderserie!

Was sind Deine (nächsten) Ziele?

Eine neu tolle Einzelausstellung!

Hast Du ein Glaubensbekenntnis – wenn ja, wie lautet dieses und was bedeutet es für Dich?

Tue was du tun musst und es kommt, wie es kommen soll! ))

Wenn Du kein Künstler geworden wärst, was wäre dann stattdessen aus Dir geworden?

Wahrscheinlich Bühnenbildner oder Interieur-Designer! Oder auch ein Verkäufer im Zoogeschäft!

Wie viel in Deinen Arbeiten ist vorher geplant – wie viel entsteht intuitiv?

Die Bilder entstehen eher intuitiv, einer Idee oder einer Vision folgend. Das Malen selbst erfolgt eher nach Plan, was mit technischen Abläufen der klassischen Ölmalerei zusammenhängt.

Worum geht es in Deinen Werken?

Wie ich es schon erwähnt habe, meine Malerei ist ein Versuch, diese schillernde und ambivalente Welt um mich herum zu begreifen. Was natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, weil es a priori nicht möglich ist. Nichtsdestotrotz sucht ja das menschliche Hirn nach kausalen Zusammenhängen und Interpretationsmodellen! In meiner Malerei komponiere ich Bildfragmente analoger und digitaler Herkunft zu Collageformationen voller inhaltlicher Überraschungen. Durch das Fragmentarische und das Gesampelte erzeuge ich ein Spannungsfeld zwischen Präsenz und Absenz, Chaos und Ordnung, Realität und Illusion. Der von mir initiierte Zerfall der vertrauten visuellen Systeme führt zuerst zur Irritation beim Betrachter und sensibilisiert ihn aber gleichzeitig auf der Suche nach der Identifikation und Einordnung des Gesehenen. Ich lade den Betrachter zum genauen Hinschauen und Analysieren ein, ohne eine konkrete Antwort zu versprechen!

Stammen Deine Inspirationen immer aus eigenen Erlebnissen?

Klar. Wie könnte es anders sein?…

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Still Life With A Red Snippet, 170 x 230 cm, 2019

Welche Rolle spielt Humor in Deinen Arbeiten?

Ich glaube keine große. Höchstens ein ironisches Augenzwinkern bei den Titeln, wenn ich ein collageartiges Gemälde „Still Life With An Ear“ oder ähnlich nenne!  ))

Glaubst Du, dass Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung trägt? Und was glaubst Du, was sie bewirken kann?

Absolut! Kunst und Kultur insgesamt haben eine enorme Bedeutung für eine Gesellschaft. Sie spiegeln gesellschaftliche Debatten wieder, bieten Reibungsflächen zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, entwickeln Visionen und bieten Perspektivenwechsel an. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist aber, dass eine Gesellschaft diese Freiheit zulässt! Was passiert, wenn es nicht der Fall ist, können wir am Beispiel einiger autoritären Regime sehen, zum Beispiel meines Heimatlandes Russland, das langsam schon totalitäre Züge einnimmt! Eine freie, geschweige progressive Kunst findet da nicht mehr statt, jede kritische Äußerung wird als volksfeindlich gebrandmarkt, jede abweichende Meinung oder Position als staatsgefährdend propagiert. Es findet kein Diskurs, keine Auseinandersetzung, keine Analyse statt. Mit der Geschichte des Landes oder dem aktuellen Geschehen darf man sich nur im patriotischen oder positiven Sinne auseinandersetzen, sonst ist es Landesverrat! Nordkorea lässt grüßen! Eine Entwicklung in meinem Land, die mich wütend und gleichzeitig unglaublich traurig macht!

Liegt bei Dir Kunst in der Familie?

Nein, ich bin der einzige Wahnsinnige!

Hast Du einen Galeristen? Wie hast Du ihn kennengelernt?

Fast alle Galeristen, die ich hatte, habe ich auf den Kunstmessen kennengelernt.

Ist im Zeitalter des Internets der Dinge eine Galerie (aus Deiner Sicht) noch notwendig? Wenn ja, wofür?

Auf jeden Fall! Trotz der rasanten Digitalisierung und Virtualisierung leben wir immer noch in analogen realen Räumen. Deshalb bleibt die Begegnung mit Kunst in einer Galerie oder sonstigem Raum auch weiterhin sehr wichtig! Was aber Kommunikation, Marketing und Werbung betrifft, bietet das Internet unglaubliche, bis heute ungekannte Möglichkeiten!

Bei all Deinen Arbeiten und Themen, die Du bedienst – welches ist das Wichtigste?

Die Endlichkeit vom Ganzen

Was sind aus Deiner Sicht Attribute für gute Kunst?

Gute Kunst ist nicht die Frage des Geschmacks, sondern die Frage der Qualität. Die Qualität besteht für mich darin, daß Kunst ohne Erklärung funktionieren muss. Daran, dass sie den Betrachter rein lässt, wenn er Interesse an der Arbeit zeigt. Daran, dass sie es schafft, ihren Kern zu transportieren, den tieferen Hintergrund. Also ein Gefühl auszulösen, einen Gedanken, eine Frage, eine Ahnung wenigstens. 

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Portrait With A Half Face, 180 x 140 cm, 2019

Hörst Du Musik beim Arbeiten? Wenn ja, welche?

Beim Arbeitet höre ich gern Hörbücher und Podcasts.

Welcher Schriftsteller und welche Bücher haben Dich am meisten beeinflusst?

„Der Archipel Gulag“ von Alexander Solschenizyn, ein Dokumentarroman über das sowjetische Lagersystem, eine erschütternde Anklageschrift gegen das Stalinregime. Desto unglaublicher ist zu beobachten, daß es im heutigen Rußland Putins der Stalinismus wieder salonfähig wird und ein regelrechter staatlich gelenkter Ehrenkult des Diktators betrieben wird..

Wird man als Künstler geboren? Oder ist ein Kunststudium Pflicht?

Pflicht ist es nicht, es ist aber eine wunderbare Möglichkeit, sich Wissen und Erfahrungen all der Menschen anzueignen, die sich für diesen Weg entschieden haben. Auch  der Karrierestart ist viel leichter, im Vergleich mit dem eines Autodidakten.

Wie sieht die erste Stunde Deines Tages aus?

Eine halbe Stunde in der Badewanne mit Smartphone, Tasse Kaffee und einer meiner Katzen am Badewannenrand. Die andere mag die Badewanne nicht! ))

www.grigori-dor.com


THE INTERVIEW IN|DEEDS ist ein konzeptuelles, mediales Kunstwerk, das Regeln folgt: Ein Interview umfasst eine bestimmte Menge an Pflicht-Fragen und Kür-Fragen. Sie werden ohne Zeitdruck und ohne Längenvorgabe schriftlich beantwortet. Der Interviewte hat die Freiheit, ihm wichtige Fragen zu ergänzen oder auch Fragen unbeantwortet zu lassen. Am eingereichten Interview nehmen wir inhaltlich keine Änderungen oder redaktionellen Korrekturen vor. Der Interviewte wird somit unverfälscht und im O-Ton wiedergegeben

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