THE INTERVIEW IN|DEEDS: WHO IS … Tina Braegger

Prolog

Tina, tun wir so, als hätten wir normale Zeiten und würden uns persönlich zum Interview treffen. Wo würden wir miteinander sprechen? Wir sprechen in meinem Atelier, das sich in einem historisch interessanten Gebäude, dem Maggi-Haus an der Lützowstrasse in Schöneberg befindet. Vielleicht sitzen wir an Deinem Lieblingsplatz? Wir unterhalten uns stehend, da ich keine Stühle in meinem Atelier habe. Es ist ein grosser, ca 60 qm grosser, ca 5 m hoher Raum mit grossen hellen Fenstern. Die bis zu 3 x 5 m grossen Leinwände sind direkt auf die Wand genagelt, das Material; Pinsel, Lappen, verschieden Marmeladengläser gefüllt mit Leinöl, Terpentin oder Terpentinersatz und mehrere 100 Ölfarben-Tuben liegen auf dem Boden und in Kartonkisten herum. Auf dem hellgrauen Boden hat es verschieden grosse, verschieden farbige Farbtropfen und Fussabdrücke. Woher kommst Du, wo bist Du wann geboren? Ich komme aus der Schweiz und wurde 1985 in Luzern geboren. Wie und wo lebst und arbeitest Du derzeit? Ich lebe mit meinem Mann, meinen zwei Kindern und zwei Katzen in Berlin, wo ich auch arbeite, zudem unterrichte ich in Lausanne an der Ecal (Ecole cantonale d’art Lausanne) in der Schweiz. Welche Stationen und Menschen haben Dich geprägt? In meiner frühen Kindheit war meine Mutter, eine Künstlerin und Kunsthistorikerin, eine prägende Figur. Sie hat mein künstlerisches Interesse früh erkannt und gefördert. Als ich sehr klein war habe ich viel Zeit bei meiner Grossmutter verbracht. Sie hatte mir in ihrem Nähzimmer, unter ihrem Arbeitstisch ein „Atelier“ eingerichtet, dort habe ich stundenlang gezeichnet und Collagen gebastelt während sie gestrickt, genäht und Wäsche geglättet hat. Als ich ein Kind war, haben meine Eltern meine Geschwister und mich in Museen mitgenommen, dort habe ich mich wohl gefühlt. Ein Schlüsselmoment war, als ich erstmals Sturtevant’s Warhol, Flowers gesehen habe. 2005, als ich 20 Jahre alt war, gab es eine Sigmar Polke Ausstellung im Kunsthaus Zürich, die mir als Ganzes gut gefallen hat. Den Katalog dieser Ausstellung finde ich nach wie vor genial. Isa Genzken’s Film Die kleine Bushaltestelle war ein weiteres unvergessliches Erlebnis mit Kunst. Andere Lieblingskünstlerinnen und Künstler von mir sind unter anderem Jacobello Alberegno, ein italienischer Maler des 14. Jahrhunderts, oder zeitgenössischer; Paola Pivi (unter anderem ihre Bears oder die Aktion mit dem Leoparden, den sie in der Kunsthalle Basel über Geschirr hat laufen lassen) oder Jeff Koons mit seiner Made in Heaven Serie, Richard Prince’s Joke Paintings und viele andere. Zur Zeit sind meine Familie, meine Freunde, die Leute, die mich unterstützen und unterstützt haben und diejenigen mit denen ich zusammen arbeite, Menschen, die mich prägen. Welche Schriftsteller*innen und Bücher finden sich in Deinem Bücherregal? Was liest Du aktuell? Aktuelle Lieblingsbücher von mir sind Julia Kristeva’s Pouvoirs de l’horreur und Alenka Zupancic’s What IS Sex. Momentan lese ich Heinz Kohut Die Heilung des Selbst, Otto Kernberg Love and Aggression und Margaret Mahler Separation and Individuation. All-Time-Favorites sind Uwe Johnson Jahrestage, William Faulkner The Bear, David Foster Wallace Infinite Jest, Virginia Woolf The Waves. Welche Musik hörst Du und wann? Ich mag Rapmusik, mit der ich aufgewachsen bin, ältere Sachen wie Snoop Dogg, Lil Kim, Foxy Brown, TLC, Mobb Deep, aber auch Pusha T, 50 Cent, oder ASAP Rocky. Ich höre nicht oft Musik, wenn, dann auf Kopfhörern, wenn ich zu Fuss unterwegs bin, oder abends mit meiner Familie zuhause. Wenn Du etwas für uns kochen würdest, was wäre es? Was isst Du am liebsten?  Ein Lieblingsessen habe ich nicht, ich liebe alle Dinge, die gut schmecken. Momentan würde ich wohl verschiedene Gemüse grillieren, vielleicht kleine grüne Paprika, die ich dann mit Olivenöl, Salz, Pfeffer und Limettensaft abschmecken würde und Blumenkohl mit Sesamöl, Salz, Sesamsamen und Zitronensaft, dazu gäbe es frische Erbsen mit Salz, Pfeffer, Limettensaft und Minze, Honigmelone mit Salz und Zitronenmelisse, weisse Bergpfirsiche, Tomaten mit Burrata, Olivenöl, Salz, Pfeffer und Basilikum und ein weisses Brot, z.B. ein Ciabatta. Was hältst Du vom Frühstücken? Unter der Woche fehlt mir leider die Zeit für Frühstück, am Wochenende mache ich gerne etwas verhipstertes wie fluffy Safranpfannkuchen mit Kakaobohnensplittern oder Olivenöl-Rosmarin Pfannkuchen mit Schokolade oder Maulbeer-Porridge mit Cashewmus oder Heidelbeer-Vanille-Milkshakes. Oder ich backe Butterzopf oder Mandel-Lavendel-Kuchen mit meinen Kindern. Welchen Sport oder Ausgleich betreibst Du? Ich mache seit 15 Jahren Yoga, täglich ungefähr eine Stunde. Zur Zeit habe ich eine Meniskusläsion, meine erste Yoga-Verletzung, was sich als Herausforderung gestaltet hat, in dem Sinne, dass ich meine routinierten Abfolgen dahingehend dekonstruieren musste, dass ich keine Übungen mache, bei denen ich die Knie anziehe, in die Hocke gehe oder vor allem Ober- und Unterschenkel gegenläufig verdrehe. Übungen wie der liegende Held oder die Taube oder ganz klassische Dinge wie der Lotussitz sind zur Zeit gestrichen. Hast Du besondere Leidenschaften, für die Du brennst? Ich lese obsessiv zu bestimmten, wechselnden Themenfeldern oder Autoren / Autorinnen, mache Yoga, koche, verbringe Zeit mit meinem Mann, meinen Kindern und den Katzen und ich liebe eine aufgeräumte, saubere Wohnung. Hast Du ein Anliegen, das Du mit uns teilen möchtest oder ein Persönlichkeitsmerkmal, das Dich ausmacht (besondere Gedanken, einen Fetisch, typische Eigenarten? Nein.

DEEDS WORLD - Artist TIna Braegger - Courtesy artist

Tina Braegger

Interview

Zu Beginn erzähle uns bitte in ein paar Sätzen Deine künstlerische Vita.

Ich habe 2015 an der Ecal meinen Master gemacht. In dem Jahr ist im Zuge einer Zwei-Personen-Ausstellung im Forde in Genf mein erster Roman und mein Bilderbuch erschienen. Seither habe ich verschiedenen Ausstellungen und Kunst am Bau Projekte gemacht und ein weiteres Buch publiziert.

Zwei Sätze zu Deinem aktuellen Projekt bzw. der kommenden Ausstellung zum Gallery Weekend.

Für die Ausstellung Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten habe ich 12 neue Bilder gemalt, die zwischen 2 x 2 und 3 x 5 m gross sind. Das Motiv ist, in abgeänderter Form, wie seit jeher, der Grateful Dead Bär, das inoffizielle Logo der 60er Jahre Rockband The Grateful Dead.

DEEDS WORLD - Tina Braegger - SOCIETE 2

Tina Braegger, Courtesy of SOCIÉTÉ

Worüber machst Du Dir zurzeit am meisten Gedanken; was beschäftigt Dich?

Aktuell mache ich mir Gedanken über die längerfristigen wirtschaftlichen, sowie gesellschafts- und sozialpsychologischen Folgen von Covid 19, Migrantenkinder in US-Haft, die Politik Lukaschenkos, die Explosion in Beirut, das Flüchtlingslager in Moria, rassistische Polizeigewalt in Amerika, die Schweizer Konzernverantwortungsinitiative, Merkel’s Nachfolge, die US Wahlen, etc.

Wie bist Du zur Kunst gekommen? Warum Kunst?

Kunst war für mich eine Möglichkeit, mich auszudrücken, die in meinem Umfeld glücklicherweise nicht auf Unverständnis stiess. Grundsätzlich hat man ein bestimmtes individuelles Mass an Energie und um das Dringendste kümmert man sich zuerst. Das ist in meinem Fall die Kunst, für jemand anderen ist es etwas anderes. Ich  wäge mein Bedürfnis nach Sicherheit mit demjenigen nach Freiheit ab, gerade wenn man sich für Kunst entscheidet verzichtet man auf gewisse Sicherheiten. Andere Fragen sind, wo kann ich Abstriche machen, was ist zu welchen Konditionen möglich, wieviel bin ich bereit zu opfern, wieviel zu investieren.

DEEDS WORLD - Tina Braegger painting

Tina Braegger im Studio

Was macht Dich aktuell glücklich? Was macht Dir aktuell Angst?

Meine Familie, meine Arbeit, meine Katzen, die Wohnung, in der wir zur Miete wohnen, mein Atelier, Yoga, Unterrichten, interessante Bücher, meine Gesundheit und die Gesundheit meiner Familie machen mich glücklich. Angst machen mir narzisstische Kränkungen, die die Menschen, unabhängig von ihrer Intelligenz erfahren, wenn sie in einem gefährlichen Unvermögen zur Empathie resultieren.

Glaubst Du, dass Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung trägt? Und was denkst Du, was sie bewirken kann?

Ich halte es da eher nach Kohut, der sagt, dass die Werke wichtiger Künstler die dominierenden psychologischen Gegebenheiten ihrer Epoche spiegeln.

Was macht Deine Kunst aus? Worum geht es in Deinen Werken – was sind die zentralen Themen?

Im Moment male ich ganz klassisch, mit Öl auf Leinwand. Ich male, in Variationen, Versionen des Grateful Dead Bären. An dem Motiv, einem psychedelisch aussehenden Comic Bären, interessiert mich, dass er mit jeder Appropriation neu kontextualisiert wird, dass er nie animiert worden ist, keine Stimme und kein Alter hat, sich keinem Geschlecht zuordnen lässt und sich der Moralität enthält.

DEEDS WORLD - Tina Braegger - SOCIETE 1

Tina Braegger, Courtesy of SOCIÉTÉ

Wie schützt Du Dich sich in der heutigen Zeit vor zu viel Inspiration?

Ich verbringe meine Zeit in meinem Atelier oder zuhause bei meiner Familie. Ich schaue mir Ausstellungen an, die mich interessieren, gehe aber nicht oft an Eröffnungen, was in Zeiten von Covid 19 nicht weiter auffällt. Inspiriert ist man meist sowieso nur von dem, was einen interessiert. Es gibt eigentlich kein zu viel an Inspiration, zumindest nicht für mich.

Wie viel in Deinen Arbeiten ist vorher geplant – wie viel entsteht intuitiv?

Ich mache eine grobe Skizze, in der ich die Bären verändere, aufblase, verziehe, platziere und die Farben raussuche. Details kommen gegebenenfalls während des Prozesses dazu.

Was soll Deine Kunst beim Betrachter bewirken?

Ich kann und möchte nicht kontrollieren, was meine Arbeit beim Betrachter auslöst.

Was sind Deine (nächsten) Ziele?

Nach der Eröffnung meiner Société Ausstellung kommt eine Einzelpräsentation an der Liste, die dieses Jahr online statt finden wird. Zur Zeit arbeite ich an den drei Bildern, die ich da zeigen werde, sowie an meinem zweiten Roman, einem Katalog und einer Ausstellung im Neuen Essener Kunstverein. Im nächsten Jahr stehen auch schon einige Projekte an, mal schauen was in welcher Form statt finden wird.

DEEDS WORLD - Artist Studio - TIna Braegger - Courtesy artist

Artist Studio Tina Braegger

Wie stehst Du zum Thema Glauben? Hast Du Glaubensgrundsätze oder gibt es einen Leitspruch?

Ich komme aus einer katholische Familie, aber meine Eltern sind früh aus der Kirche ausgetreten. Ich fand es immer sehr schön, mir mit meinen Eltern schöne Kirchen anschauen zu gehen. Glaubensgrundsätze oder einen Leitspruch habe ich nicht.

Welches Projekt würdest Du gerne noch realisieren, wenn fehlende Zeit, mangelnder Mut oder finanzielle Ressourcen keine Rolle spielen würden?

Gerne würde ich bei Gelegenheit ein Bärenmosaik machen, oder Bärenglasfenster oder einen Bären auf dem Boden eines Basketball-Feldes anbringen. Alles als Referenz auf den Ursprung des Bären, die Band The Grateful Dead.

Was sind aus Deiner Sicht Attribute für gute Kunst?

Wenn sie eigenständig ist, unabhängig und keine Angst vor Bewertung hat.

Wird man als Künstler*in geboren? Oder ist ein Kunststudium aus Ihrer Sicht Pflicht?

Bis zu einem gewissen Grad sind Interessen tatsächlich genetisch vorbestimmt und können in der Erziehung gefördert werden. Ich kenne aber viele Künstler, die nicht aus einem künstlerischen Hintergrund kommen, die Sache mit der Genetik und Erziehung ist wie so vieles komplex und nicht monokausal. Ich halte nicht viel von Kunstschulen und habe selber wenig gute Erfahrungen damit gemacht. Man trifft selten einen guten Künstler oder eine gute Künstlerin an einer Kunstschule. Meist sind gute Künstler und Künstlerinnen gute Lehrer und Lehrerinnen, aber nicht immer. Was eine Kunstschule auf jeden Fall kann, ist dass sie ein Netzwerk liefert, man sich mit anderen Studenten austauschen kann und man auf die eine oder andere Art lernt, wie man seine Ideen umsetzen kann.

Wem zeigst Du ein neues Werk zuerst?

Meinem Mann.

Wie sieht die erste Stunde Deines Tages aus?

Unter der Woche nutze ich die erste Stunde des Tages zwischen 5:30 und 6:30, bevor meine Familie aufwacht, für mich alleine. Dann dusche ich, füttere die Katzen und mache Yoga.

Epilog

Die Ausstellung ICH WERDE HIER SEIN IM SONNENSCHEIN UND IM SCHATTEN mit neuen Werken von Tina Braegger ist vom 9. September bis 10. Oktober 2020 bei SOCIÉTÉ, Wielandstraße 26, 10707 Berlin-Charlottenburg zu sehen. Die Galerie nimmt am Gallery Weekend 2020 teil.

Instagram: @tina_braegger


In Zeiten von Corona, in denen Reisen, Atelierbesuche und persönliche Kontakte unangebracht oder sogar unmöglich sind, bleibt das schriftliche Interview ein wichtiges Medium, um Künstlerpersönlichkeiten vorzustellen, um ihre Botschaften zu verbreiten und um mit Kunstliebhabern in Kontakt zu bleiben. Die Interviews werden von der Redaktion nicht redigiert oder gekürzt und stets im O-Ton wiedergegeben. Daher nehmen wir auch keine Übersetzung des Interviews in Englische bzw. Deutsche vor, es sei den, diese wird seitens des/der Interviewten eingereicht.

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